Schon lange bevor ich mich auf meinen Kinderwunsch-Weg machte, hatte ich eine prägende Erfahrung: Ich überquerte Korsika zu Fuß und machte dabei Fehler, die mich gefährlich weit über meine Grenzen brachten. Habe ich daraus für meinen Kinderwunsch etwas gelernt? Leider nicht. Ich wiederholte dieselben Fehler nochmal. Hier teile ich meine Geschichte – für all jene, die es besser machen wollen.
Mit Anfang 20 entschloss ich mich mit meinem damaligen Freund, den GR 20 zu wandern. Der GR 20 ist einer der härtesten Fernwanderwege Europas: 180 Kilometer, 12.000 Höhenmeter, verteilt auf 16 Etappen. Der Weg durchquert das Gebirge auf der Insel Korsika einmal komplett von Norden nach Süden.
Ohne viel Vorbereitung starteten wir die Tour im Frühsommer. Ich war fit und wanderte gerne. Das sollte genügen. Wir wollten in den Berghütten übernachten. Für den Notfall hatten wir ein kleines Zelt dabei, Haferflocken, Trockenfrüchte und gefriergetrockneten Eistee.
Warum haben wir uns nicht besser vorbereitet?
Warum sind wir nicht ins Tal abgestiegen als das Essen knapp wurde?
Warum haben wir unsere Gesundheit, vielleicht sogar unser Leben riskiert?
Wir haben massiv unterschätzt, welche Herausforderungen eine lange Trekkingtour im Hochgebirge mit sich bringen kann. Naiv sind wir davon ausgegangen, dass es einfach eine längere Wanderung als sonst werden wird. (Zu unserer Entlastung sei erwähnt, dass wir noch jung waren und es damals weder Internet noch Mobiltelefone gab. Man bereitete sich ausschließlich aus Büchern vor.)
Mein Ziel war ganz klar. Ich möchte das Ende des GR 20, die Stadt Conca, erreichen. Das hatten wir uns vorgenommen. Als die Lebensmittel immer knapper wurden, kam mir noch nicht einmal in den Sinn, ins Tal abzusteigen, um für Verpflegung zu sorgen. Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich nach einem Abstieg vielleicht nie wieder auf den anstrengenden Trail zurückgekehrt wäre. Das wollte mein Ego auf keinen Fall riskieren.
Getrieben von der Anstrengung, wenig Essen und der Höhenluft lief ich wie in Trance weiter. Statt eine Pause im Tal einzulegen und die Lebensmittelvorräte aufzufüllen, liefen wir schneller. Mögliche Gefahren auf dem Weg nahm ich kaum mehr wahr. Einmal lief ich gedankenverloren über ein Schneebrett und brach bis zu den Schultern ein. Mein Fokus lag nur auf dem Ziel. Mein sonst klarer Verstand war durch die dauerhafte Belastung benebelt.
Dieses Abenteuer gehört zu meinem Leben und ich möchte es nicht missen. Mit viel Glück ist nichts Schlimmes passiert. Doch es hatte auch einen Preis. Ich war so sehr auf das Ziel fixiert und auf die nächste Mahlzeit. Noch heute, mehr als 30 Jahre später, überfällt mich leichte Panik, wenn ich befrüchte, nicht genug zu essen zu bekommen.
Leider nicht. Als mein Mann und ich uns später ein Kind wünschten, gingen wir mit derselben blauäugigen Einstellung an die Sache heran. Wir dachten, es würde schon klappen.
Auch wenn es unmöglich und auch nicht sinnvoll ist, sich voll umfassend auf den Weg zum Kind vorzubereiten, zeigt mir meine eigene Geschichte und die meiner Klientinnen und Klienten, dass wir oft zu blauäugig starten. Wenn der Weg dann steinig wird, verliert man leicht die Orientierung und den Halt. Würde ich diesen Weg heute noch einmal antreten, wünschte ich, ich würde ihn bewusster und achtsamer gehen.
Aus meiner Erfahrung sind drei Aspkete ganz besonders wichtig, um den Kinderwunsch-Weg seelisch und körperlich gesund zu meistern:
Damit ist einerseits ganz praktisches Wissen gemeint, wie: Wann sind die fruchtbaren Tage? Worauf kann man bei der Ernährung achten? Wie verhält sich die Fruchtbarkeit im Verlauf des Lebens? In einer Partnerschaft sollten beide Partner über solche Fakten Bescheid wissen. Nicht bis ins letzte Detail aber so, dass sie sich gut informiert fühlen.
Andererseits ist die mentale Vorbereitung wichtig. Schwanger werden und ein Kind auf die Welt zu bringen ist eben nicht immer die „natürlichste Sache der Welt“. Manchmal dauert es Jahre oder klappt gar nicht. Selbst die beste Kinderwunschbehandlung bietet keine Garantie. Wir können eine Schwangerschaft unterstützen und gute Voraussetzungen schaffen. Am Ende bleibt es aber ein Geheimnis der Natur, ob und wann eine Frau schwanger wird.
Wenn dir von Anfang an klar ist, dass dein persönlicher Einfluss auf eine mögliche Schwangerschaft begrenzt ist, sowohl als Mann als auch Frau, finden zermürbende Gedanken wie, „ICH muss es schaffen“ keinen Nährboden.
Damals auf Korsika hatte ich nur einen Plan: Die Stadt Conca, das Ende des GR 20 zu erreichen. Genauso sah es bei meinem Kinderwunsch aus: Es gab nur Plan A, ein Kind zu bekommen. Das machte mich blind für andere Wege und trieb mich weit über meine Belastungsgrenzen hinaus. Heute empfehle ich, von vornherein Plan B, C oder D mitzudenken, um nicht ALLES vom Erreichen dieses einen Traums abhängig zu machen.
Der Kinderwunsch kann zum steilen Gebirgspfad werden, körperlich und seelisch. Niemand muss diesen Weg allein und ohne Pausen gehen. Es ist nicht nur in Ordnung, sondern ein Zeichen von Selbstbestimmung, emotionale Unterstützung anzunehmen. Sei es durch Freunde, Familie oder Coaches und Therapeuten.
Während der Kinderwunschzeit braucht es ein gutes Maß an Selbstfürsorge, um rechtzeitig innezuhalten, aufzutanken und zu spüren, wo man steht. Pausen helfen, sich neu zu orientieren und gestärkt weiterzugehen oder den Weg zu beenden. Das ist deutlich weiser als eine Kinderwunschbehandlung nach der anderen zu machen und dabei die seelische und körperliche Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
Mein Mann und ich haben zwei Kinder früh in der Schwangerschaft verloren. Damals habe ich befürchtet, nie wieder Glück finden zu können. Doch heute sind wir im Reinen mit unserem Schicksal und führen ein zufriedenes und erfülltes Leben.
Um beim Bild des Wanderns zu bleiben: Ich bin damals nicht rechtzeitig ins Tal abgestiegen, sondern in ein tiefes Loch, in eine Depression, gefallen. Im Traum hätte ich nicht gedacht, dass mir mal sowas passiert. Ich habe mich immer als stark und mental gefestigt eingeschätzt.
Der Weg aus der Depression war die bisher größte Herausforderung meines Lebens und dauerte Jahre. Deshalb ist es mir so wichtig, anderen Betroffenen ihre eigene seelische und körperliche Gesundheit rechtzeitig ins Bewusstsein zu rufen.
Claudia Moser ist Systemische Coach und ausgebildete PEP®-Anwenderin. Sie hilft Menschen mit Kinderwunsch dabei, Stress abzubauen und zuversichtlich und selbstbestimmt den eigenen Weg zu finden. Claudia kennt die Herausforderungen eines unerfüllten Kinderwunsches aus dem eigenen Leben. Sie lebt mit ihrem Mann in Karlsruhe, liebt Trekkingtouren im Himalaya und spontane Kochabende mit Freunden.